"Frauen müssen ihren Beruf fokussieren"
Sie sind
die einzige uns bekannte Frau im Vorstand eines führenden
Handelskonzerns. Warum sind Sie eine so seltene Blüte in unserer
Branche?
Neue Zeitrechnung: Tesco-Vorstand Lucy Neville-Rolfe sagt
Frauen eine große Zukunft voraus.
In Zukunft werden Frauen
im Topmanagement keine Seltenheit mehr sein. Die Lebensstile haben
sich vollkommen geändert. Heute stellen Frauen einen bedeutenden
Teil der arbeitenden Bevölkerung dar und die leistungsfähigen unter
ihnen steigen auf. Der Lebensmitteleinzelhandel spiegelt diese
gesellschaftliche Entwicklung nur wider.
Offensichtlich
aber bei Tesco...
Die Tesco-Unternehmenskultur, die unter
anderem auf Fairness und Höflichkeit basiert, dürfte diesem Prozess
nur förderlich sein. Bereits heute leitet eine Frau unseren
Homeshopping-Service, und erst vor kurzem ist eine Frau Chef
unserer Rechnungsprüfung geworden.
Schön wäre es, wenn das
auch im deutschen LEH der Fall wäre. Dort sind Frauen im
Topmanagement eher die Ausnahme.
Wirklich? Wenn das
stimmt, dann haben die Konzernvorstände in Deutschland eine
strategische Chance verpasst.
Sie haben vorhin über die
Zukunft gesprochen. Gleiche Chancen im Beruf hat es bis in die
jüngste Vergangenheit wohl kaum gegeben.
Vor Tesco habe
ich 20 Jahre im Staatsdienst gearbeitet. Nach dem Studium hatte ich
auch die Option für die Bank of England oder Unilever zu arbeiten.
Ich entschied mich für eine Karriere als Beamtin im Staatsdienst,
weil ich glaubte, hierdurch eine Karriere mit der Gründung einer
Familie besser vereinbaren zu können. Heute aber ist es meine
Hoffnung, dass so etwas auch im Einzelhandel möglich sein sollte.
Stimmt es, dass eine Frau an der Spitze mindest doppelt so
gut sein muss, wie ihr männliches Pendant, um erfolgreich zu sein?
Diese Argumentation würde ich aber nicht zu sehr betonen
wollen. Margaret Thatcher hat sich gegen alle Widrigkeiten
behauptet. Heute in Deutschland haben Sie Frau Dr. Angela Merkel.
Also alles nur ein Klischee?
Nein, da ist schon
etwas dran. Die Menschen leben und arbeiten bekanntlich gerne in
einer ihr vertrauten Umgebung. Traditionell in der Arbeitswelt
herrschen die Männer. Wenn es nur eine Frau an der Spitze gibt,
fallen ihre Fehler in einer Männerwelt zwangsläufig besonders stark
auf. Gibt es aber bereits zwei oder drei Frauen auf einer
bestimmten Funktionsebene, dann nivelliert sich das zunehmend.
Außerdem können sich Frauen gegenseitig coachen.
Wie meinen
Sie das?
Als ich im Staatsdienst arbeitete, gab es eine
höhere Beamtin, die zwar immens talentiert war, aber als extrem
schwierig galt. Schon damals war mir klar, dass diese Frau in einer
reinen Männerwelt nie ein richtiges Feedback über ihr Verhalten
erhalten hatte. Woher denn auch, wenn jeder doch zwangsläufig
anders ist als Du? Wenn Frauen mit anderen Frauen zusammenarbeiten,
geschieht dies eher, weil Frauen ein besseres Händchen dafür haben,
positives wie kritisches Feedback zu geben, ohne ihr Gegenüber
unnötig zu verletzen.
Welchen Rat würden Sie einer jungen
Hochschulabsolventin geben, die eine Karriere im Handel machen
will?
Zunächst würde ich ihr raten, sich bei Tesco zu
bewerben, weil es eine hervorragende Managementschmiede ist. Auf
jeden Fall muss sie zielstrebig sein. Wir Frauen sind zwar richtige
Talente, wenn es um Multi-Tasking geht, weil wir oftmals Karriere
und Familie gleichzeitig bewältigen müssen. Trotzdem müssen Frauen
auf ihren Beruf fokussiert bleiben.
Jetzt rein privat
gefragt, hätten Sie eine Tochter, die Händlerin werden wollte,
welchen Rat würden Sie ihr dann geben?
Warte nicht, bis Du
Mitte 30 bist, bevor Du Dein erstes Kind bekommst. Meine ersten
Kinder hatte ich, als ich in den Zwanzigern war. Das war zwar nicht
so geplant, aber es war das Beste, was mir je passieren konnte,
weil ich meine vier Kinder über einen relativ langen Zeitraum haben
konnte. So verteilten sich die Geburten meiner vier Söhne über
einen relativ langen Zeitraum und ich konnte Familie und Beruf
leichter kombinieren.
Allgemein heißt es, dass Frauen über
mehr emotionale Intelligenz verfügen. Sind sie damit die besseren
Manager?
Natürlich trifft dies nicht bei jeder Frau zu.
Die meisten Forschungsstudien über die Funktion des Gehirns
bestätigen, dass Frauen anders intelligent sind als Männer.
Emotionale Intelligenz schreiben wir im Tesco-Management recht
hoch, weil sie eine wichtige Voraussetzung ist, Menschen zu managen
und zu motivieren. Eben weil dies unsere Firmenkultur ist, gibt es
immer mehr Frauen in unserem Management.
Frauen klagen
mitunter über frauenfeindliche Verhaltensweisen der Männer im
Beruf. Haben Sie das je erlebt, und wie gingen Sie damit um?
Direkt im Handel habe ich es nicht erlebt, aber
wahrscheinlich hängt dies damit zusammen, dass ich bereits auf
höherer Managementebene bei Tesco angefangen habe. Nachteile
spezifisch im Zusammenhang mit meinem Geschlecht sind mir eher am
Anfang meiner Karriere als Beamtin widerfahren. Weil es bereits
zwei andere Frauen auf der nächsten Stufe der Hierarchie gab,
wollte die Obrigkeit keine dritte haben. Ich wurde nicht befördert,
obwohl mir dies eindeutig zugestanden hätte. Heutzutage wäre das
sicherlich anders. (md)
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