Genug gemeckert: Glückssache
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Bei Rewe arbeiten Experten für Corporate Happiness. Was bringt das? Ein Erklärungsversuch.

Glück ist kein Geschenk der Götter, sondern die Frucht innerer Einstellung", hat der Philosoph Erich Fromm einmal gesagt. Damit könnt man ihn als Vorläufer der Corporate-Happiness-Bewegung sehen, die auch die Rewe Group erfasst. Glücklichsein im Unternehmen – ist das nicht ein bisschen zu viel verlangt? Pierre de la Motte ist einer von drei Glücksexperten bei den Kölnern und versucht, das Missverständnis aufzuklären. "Ich habe selbst ein Problem mit dem Label Corporate Happiness", gibt der 48-jährige Psychologe und Soziologe zu, der bei Rewe die interne Kommunikation leitet. "Kritiker mutmaßen, das sind Spinner, die Bäume umarmen. Dabei geht es nicht um Esoterik, sondern um wissenschaftliche Erkenntnisse", betont er. Je mehr sich ein Mensch mit positiven Dingen beschäftige, desto größer werde das entsprechende Areal im Gehirn, das diese Reize verarbeitet. "So trainiert der Mensch den positiveren Blick auf die Welt."

Bei Corporate Happiness gehe es nicht um äußere Faktoren wie Geld oder Karriere. Die könnten zwar auch sehr positive Gefühle auslösen, doch diese nutzten sich rasch ab. Im Zentrum stehe vielmehr die eigene Einstellung. "Es geht darum, das Mindset zu ändern", formuliert es de la Motte. "Das hat mit den Arbeitsbedingungen erst mal gar nichts zu tun, sondern damit, dass man selbst mit seinem Leben und mit sich glücklicher und zufriedener wird."

Bei Rewe begann der Weg zum Glück mit einem Vortrag des Psychologen und Corporate-Happiness-Erfinders Oliver Haas vor Topmanagern. Schnell machten die Ideen im Handelsunternehmen die Runde. De la Motte und seine zwei Mitstreiterinnen Andrea von Heinz und Rebecca Mertens waren begeistert und absolvierten die einjährige Ausbildung, an deren Ende sie sich Corporate-Happiness-Experten nennen durften. Dieses Jahr werden zwei weitere Beschäftigte geschult, einer kommt von Penny, einer von Rewe Systems.

Und was macht so jemand den ganzen Tag? Zunächst habe er sein 18-köpfiges Team mit seinem neuen Wissen beglückt, berichtet de la Motte, dem insgesamt zehn Stunden im Monat für die neue Funktion zur Verfügung stehen. Er organisiert Impulsmeetings, erklärt das Konzept und macht praktische Übungen mit den Kollegen. Eine heißt "beschwerdefrei" und soll notorische Nörgler dazu bringen, Positives wahrzunehmen. Bei jedem Meckern muss die Person eine Münze von der einen in die andere Hosentasche stecken oder ein Armband von links nach rechts wechseln. Wer oft motzt, dem wird das schnell lästig. Dadurch soll dem Menschen bewusst werden, was er tut, "um aus dem Teufelskreis der Negativität herauszukommen".

Die eigene Wahrnehmung steht auch im Zentrum einer Übung, bei der sich die Probanden jeden Tag drei Dinge aufschreiben, für die sie dankbar sind. Das können auch vermeintliche Nebensächlichkeiten sein wie ein schöner Sonnenaufgang oder ein freundliches Lächeln in der Straßenbahn.

„Es geht nicht um Esoterik, sondern um wissenschaftliche Erkenntnisse“
Pierre de la Motte, Rewe

"Dieses Training schafft Anlässe, um positive Gefühle zu aktivieren, also gewissermaßen das Glück bei Laune zu halten." Ein Messinstrument für die Wirkung gibt es bislang nicht. "Wir können sie momentan nur auf der persönlich-emotionalen Ebene wahrnehmen", sagt de la Motte.

Nicht bei jedem stoße die Idee der Corporate Happiness auf Gegenliebe. "Für mich war klar, dass ich nicht nur positives Feedback ernten werde. Aber die positiven Rückmeldungen überwiegen bei weitem", so der Rewe-Experte. Auch über die Reichweite des Instruments macht er sich keine Illusionen, denn: "Sie können niemanden zwingen, glücklich oder zufrieden zu sein."

Mehr positive Emotionen würden den meisten deutschen Unternehmen sicher guttun. Denn um die Bindung der Mitarbeiter an ihre Arbeitgeber ist es hierzulande schlecht bestellt – und das nicht erst seit gestern. Jedes Jahr misst das Gallup-Institut das Engagement der Beschäftigten im Job – und jedes Jahr sind die Zahlen alarmierend. Vor kurzem hat Gallup die Werte für 2019 veröffentlicht (siehe Chart). Demnach haben nur 15 Prozent der Beschäftigten eine hohe emotionale Bindung an ihr Unternehmen – sind also mit "Herz, Hand und Verstand bei der Arbeit". Die große Mehrheit, 69 Prozent, mache lediglich Dienst nach Vorschrift. 16 Prozent der Mitarbeiter hätten sogar innerlich bereits gekündigt, was laut Gallup-Chefanalyst Marco Nink "einen volkswirtschaftlichen Schaden von bis zu 122 Milliarden Euro" verursacht. Für Nink steht der Schuldige an der Misere fest: "Innere Kündigung ist das Ergebnis schlechter Führung und im Unternehmen ein hausgemachtes Problem."

Begeisterung sieht anders aus.

Mit Corporate Happiness allein lässt sich das nicht lösen, weiß de la Motte. Aber ein Baustein innerhalb der Personalarbeit könnte das Instrument sicher werden. "Wir sind mit den Kollegen im Gespräch und wollen ausloten, inwieweit so etwas implementiert werden kann." Der Glücks-Botschafter ist sicher, dass Corporate Happiness das Potenzial hat, die Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern. "Denn glücklichere Menschen arbeiten lieber und sind effizienter." Eine wertschätzende Führungskultur sei die Grundlage. "Nur auf einem solchen Boden kann Corporate Happiness wachsen."

Die Rewe Group erlebt er jedenfalls als offen dafür. "Mit uns dreien hat sie die ersten Testballons losgeschickt." Nun hofft de la Motte, eine relevante Anzahl an Schlüsselpersonen in den Personalabteilungen, bei den Führungskräften und den selbstständigen Kaufleuten zu erreichen. "Wenn die den Effekt spüren und von dem Ansatz überzeugt sind, dann kommt die Lawine ins Rollen."

Die selbstständige Rewe-Kauffrau Franzis Tönnies aus Odenthal im Bergischen Land ist bereits hellhörig geworden. "Das hat bei mir offene Türen eingerannt", sagt die 59-Jährige über ihre Beschäftigung mit dem Konzept. Mit ihrem Mann betreibt sie einen 800 Quadratmeter großen Laden nebst Getränkemarkt. Als Arbeitgeberin für 65 Beschäftigte plus sieben Azubis ist es Tönnies ein Anliegen, "jeden Tag Leichtigkeit und Freude ins Unternehmen zu bringen". Oft aber fresse der Alltag sie regelrecht auf, "und dann bin ich dankbar für anregende Ideen".

Konkret erhofft sie sich neue Impulse für die wöchentlichen Mitarbeitergespräche. "Da muss ein neuer Wind rein," findet die Kauffrau, die sich für die Ausbildung zur Corporate-Happiness-Beraterin bei Rewe angemeldet hat. "Auf diesen Weg mache ich mich", sagt sie und lacht. Im Frühling geht es los.



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