Zentrale Leitlinien des Manifestes sind: Es ist besser, in Lösungen zu denken als starren Prinzipien und Standpunkten zu folgen. Verlässliche Einigungen und Absprachen sind besser als sich wiederholende, nervtötende Diskussionen. Und nicht zuletzt ist es dem Hermes Betriebsrat wichtig, eine Vertrauensbasis mit den Vertretern der Arbeitgeber aufzubauen, statt alles bis ins Detail und allumfassend regeln zu wollen. "Das Manifest ist heute Teil unserer DNA und beschreibt unser Selbstverständnis als Betriebsrat", sagt Brandt. Das schließe "harte Verhandlungen" allerdings nicht aus. "Konfrontation ist nichts Schlechtes, aber immer mit Respekt gegenüber dem Verhandlungspartner."
Deutlich höheres Tempo bei Betriebsvereinbarungen
Auch in der Personalabteilung stieß der eingeschlagene Kurs auf offene Ohren und passt zu dem Kulturwandel hin zu mehr Transparenz und offener Kommunikation, den Otto sich verschrieben hat, sagt Nadine Dopke, HR-Business Partner bei Hermes Germany. "Betriebsrat und Personalabteilung haben mehr Gemeinsamkeiten als gedacht." Eine optimale Arbeitswelt für die Mitarbeiter zu gestalten und diese letztendlich auch an das Unternehmen zu binden, sind Ziele der Personalarbeit, die beide Betriebsparteien unterschreiben können. Anfängliche Blockaden, und zwar sowohl auf Management- als auch auf Arbeitnehmerseite, habe es gegeben, aber die schnelleren und guten Ergebnisse überzeugten schließlich, so die Erfahrung.
Statt wie früher drei Jahre an einer Betriebsvereinbarung zu arbeiten, schaffe man es jetzt in sechs Wochen, sich auf kollektive Regelungen zum Beispiel für die Einsatzplanung zu einigen. "Früher haben wir jede Eventualität geregelt, und heute geben wir mehr Verantwortung in die Teams", beschreibt Brandt den Wechsel. "Wir stecken mit den Vereinbarungen einen Rahmen ab und vertrauen darauf, dass die Mitarbeiter für eine gute Umsetzung sorgen", sagt HR-Business Partner Dopke. Das funktioniere gut und bei Bedarf werden offene Punkte eben nachverhandelt.
Beim Chemie- und Pharmaexperten Merck setzt der Betriebsrat auf Projektarbeit, um Themen und Vereinbarungen qualifiziert vorzubereiten. Dabei werden Mitarbeitende einbezogen, die Experten für Sachthemen sind, aber kein BR-Mandat haben. "Damit kommt eine neue Qualität in den Betriebsrat", sagt Sascha Held, Betriebsratsvorsitzender bei Merck. "Früher haben freigestellte Betriebsräte alles gemacht und der Rest hat abgenickt", so Held. Jetzt ist nicht nur Transparenz, sondern auch Schnelligkeit und Expertenwissen gefragt. Der Druck auf die Betriebsräte, mit der Transformation der Unternehmen und den schnellen Produkt- und Technikzyklen Schritt zu halten, sei immens.
Moderierte Gespräche werden besser angenommen
Dass sich auch die Mitbestimmung im Zeitalter des New Work verändern muss, davon waren die Referenten überzeugt, die bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Personalführung die neuen Formen der Mitbestimmung 4.0 präsentierten. Natürlich ist das Betriebsverfassungsgesetz nach wie vor die gesetzliche Basis für die Arbeit der Betriebsparteien. Doch offenere Formate der Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber sind sinnvoll, so die einhellige Meinung.
So kann eine innerbetriebliche Mediation eingeschaltet werden, bevor im Konfliktfall, wie im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen, die nächste Eskalationsstufe in Form der Einigungsstelle angerufen wird. "Zum moderierten Gespräch sind beide Parteien schneller bereit", lautet die Erfahrung von Arbeitsrechtler Daniel Faulenbach. Es spart Zeit und auch Geld. Faulenbach leitet selbst Einigungsstellenverfahren und ist zudem als Mediator in Unternehmen aktiv. "Die Schlichtung wird weniger als Eskalation wahrgenommen als ein Spruch von außen von einer Einigungsstelle", so Faulenbachs Erfahrung. Ein Nachteil der Mediation ist allerdings, dass Zeit verloren geht, wenn die interne Konfliktlösung erfolglos bleibt. Außerdem hat die Lösung, die im moderierten Gespräch gefunden wurde, nicht die Verbindlichkeit eines Spruchs der Einigungsstelle. Letzterer ist für beide Betriebsparteien verbindlich.
Auch bei SAP haben sich Betriebsrat und Arbeitgebervertreter auf eine neue Form der Konfliktlösung in zwei abgestuften Gesprächsrunden mit Einbindung der Führungskraft geeinigt. Kann in diesen kein Ergebnis erzielt werden, tritt eine Schiedskommission zusammen. Sie ist paritätisch mit jeweils zwei Betriebsratsmitgliedern und zwei Personen von Arbeitgeberseite besetzt, und zwar idealerweise mit Personen, die nicht in den Konfliktfall involviert sind. Beide Konfliktparteien tragen (getrennt) vor der Schiedskommission ihre Sicht vor. "Die Probleme werden meist schon in den Gesprächen vorher gelöst", lautet die Erfahrung. "Das funktioniert hervorragend", sagt Joachim Feiler, Labour Relations Manager bei SAP. "Es ist ein Vermittlungsverfahren. Ziel ist nicht, zu gewinnen, sondern eine Einigung zu erzielen." Der offene Prozess ist geeignet für alle individuellen Themen, aber nicht für das Aushandeln von kollektiven Betriebsvereinbarungen.
Mit neuen Formaten der Kommunikation sorgen Betriebsrat und Personalabteilung von Hermes für einen kontinuierlichen Informationsfluss. Zwei Mal die Woche erfolgt ein kurzer Austausch im Stand-up-Format. Daneben gibt es Design-Thinking-Runden, bei denen Vertreter beider Seiten sowie Führungskräfte und Mitarbeiter Inhalte für eine Betriebsvereinbarung erarbeiten. Sind solche Vereinbarungen abgeschlossen, finden sogenannte Review-Runden statt, die von Betriebsrat und HR moderiert werden. Mitarbeiter und Führungskräfte schauen dabei gemeinsam, ob die Regelungen praxistauglich sind und an welchen Stellen Anpassungen erforderlich werden. "Der aktivere Teil der Betriebsräte trägt die neuen Formen der Zusammenarbeit mit", sagt Brandt zur Stimmungslage im Betriebsrat. Wird die Nähe der Personalabteilung zum Betriebsrat als zu eng angesehen? "Glücklicherweise nicht", sagt HR-Business Partnerin Dopke.
Regelmäßige Reflexion ist wichtig
Eine Überprüfung der Ziele ist auch für Sandra Bierod-Bähre eine Pflicht für beide Seiten. Regelmäßig sollten sich die Betriebsparteien, getrennt oder gemeinsam, in moderierten Workshops fragen, was erreicht wurde, welche Hindernisse es bei der Umsetzung gab, und wie das Unternehmen, die Mitarbeiter und der Betriebsrat davon profitieren, so die Personalleiterin der Pin AG und freie Trainerin für die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. "Die Erwartungen der Mitarbeiter sind wichtiger als ein Machtkampf zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat", sagt Bierod-Bähre. Sie ist überzeugt davon, dass betriebliche Mitbestimmung mehr ist als "Gesetzesvorgaben abzuarbeiten". Sie sollte transparent, fokussiert und strategisch sein. Dann bringt sie einen Mehrwert für alle Beteiligten.