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Interview mit Arbeitsforscher Hans Rusinek

"Firmen sind kein Ort zum Ausleben aller Wünsche"

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Hans Rusinek: „Meaningful Work & Organisational Purpose“ ist sein Thema. Dazu forscht und publiziert der 33-Jährige Wirtschaftsethiker, berät Unternehmen und gut gebuchter Redner ist der Vertreter der „Generation Why“ auch.
Hans Rusinek: „Meaningful Work & Organisational Purpose“ ist sein Thema. Dazu forscht und publiziert der 33-Jährige Wirtschaftsethiker, berät Unternehmen und gut gebuchter Redner ist der Vertreter der „Generation Why“ auch.
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Interview mit Arbeitsforscher Hans Rusinek
"Firmen sind kein Ort zum Ausleben aller Wünsche"
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Die Frage nach dem Sinn der Arbeit und dem Purpose eines Unternehmens stellt Hans Rusinek gern in einen größeren Kontext: Für den Promotionsforscher an der Universität St. Gallen sollte Erfolg nicht nur beruflich definiert sein und eine Firma nicht nur kurzfristig Nutzen stiften. 



Herr Rusinek, in Bewerberumfragen wird immer öfter der Wunsch nach Werteorientierung des Arbeitgebers und der Sinnhaftigkeit der Aufgabe geäußert. Woher kommt der Wunsch, im Beruf immer mehr Sinn und Selbstverwirklichung zu suchen?


Weil andere Sinnquellen wie Religion, Dorfgemeinschaft oder Großfamilie an Kraft verloren haben und wir Halt suchen. Aber: Wer Sinn nur aus einer Quelle schöpft, Arbeit gewissermaßen zur letzten Religion macht, wird unausgeglichen, manipulierbar und unglücklich. Dabei haben viele mit hybriden Arbeitsmodellen endlich die Chance, den Job mehr in das Leben einzubetten, ihn damit in Einklang bringen, was uns noch alles ausmacht.

Es ist aber doch gerade eine Folge der Pandemie, dass wir privater geworden sind im Job: Wohnzimmer in Onlinemeetings hergezeigt und Sorgen mit Kollegen geteilt haben. Das gipfelt in der Employer-Branding-Phrase „Bring your whole self to work“. Haben Sie damit ein Problem?

Also erst einmal finde ich es gut, dass wir unsere Persönlichkeit an den meisten Arbeitsplätzen in Deutschland nicht verleugnen müssen: Wer homosexuell ist, kann dazu in fast allen Arbeitsumfeldern – außerhalb der Fußball – Bundesliga - stehen. Was ich weniger unterstütze, ist die Sehnsucht, sich im Unternehmen 100 Prozent selbst verwirklichen zu können, dies als den einen Ort zum Ausleben aller Wünsche, Ideen und Talente zu sehen. Eine solche Selbstverwirklichungsprosa entstammt der Hippie-Bewegung. Nur dass die Hippies dabei nicht an ein Angestelltendasein dachten. Heute wollen wir im Job zu den tiefsten Tiefen unseres Selbst vorstoßen und obendrein damit noch, ganz klassisch bürgerlich, unseren Erfolg vergrößern. Ein doppelter Sinndruck, der für viele zur Last wird.

Worin liegt die Gefahr, wenn wir Job und Privatperson zu sehr vermischen?

Wissensarbeit braucht Regeneration, Ausgleich. Wir brauchen Leute, die entspannt zur Arbeit kommen, weil sie Sport treiben, im Austausch mit Freunden sind, ein Ehrenamt leisten, eine Beziehung zu ihrer Familie halten können, die anderen als beruflichen Interessen nachgehen. Im Januar waren erstmals über 50 Prozent der berufsbedingten Erkrankungen psychisch und das liegt auch an Entgrenzung.

Entgrenzung kann doch nur stattfinden, wenn beide Seiten sie zulassen, Unternehmen wie Mitarbeiter?

Das tun sie. Beide überhöhen Arbeit als einzige Sinnquelle. Arbeit wird damit immer mehr zur Performance. Es reicht nicht, eine erfolgreiche Managerin zu sein, ich muss auch zeigen, dass ich dafür brenne, dass es mein Purpose ist. Es geht immer weniger nur um die Rolle in einem bestimmten Arbeitskontext, immer mehr um die ganze Person. Die Arbeitssoziologie hat dafür den Begriff der ‚gierigen Organisation‘, die die ganze Emotionalität, die ganze Persönlichkeit ihrer Mitglieder beansprucht. Das gibt es bei Sekten, Guerillaverbänden, Armeen und das wird auch von Unternehmen übernommen, die dabei gerne betonen, dass sie eine „Familie“ oder ein „Tribe“ sind., wobei vergessen wird, dass die meisten Menschen zum Erwachsenwerden von ihrer Familie weggezogen sind und wir Stammesstrukturen ebenfalls überwunden haben. Für die Beschäftigten droht eine negative Funktionalität: Ein Familienmitglied wird ja wohl keinen Betriebsrat gründen.

Beschäftigten droht Selbstausbeutung. Gibt es auch für Arbeitgeber ein Risiko?

Ja, unausgeglichene und sogar kranke Mitarbeiter kann in der sogenannten Wissensökonomie kein Unternehmen gebrauchen. Unternehmen schauen stark auf die kurzfristige Rendite und damit auch nur kurzfristig auf die Energie ihrer Mitarbeiter. Schaut man langfristig auf Ressourcen, ob planetare oder menschliche, würde man anders und langfristig auch erfolgreicher handeln. Ich glaube, auf der Arbeitnehmerseite schlägt das Pendel schon wieder zurück. Wir sehen Phänomene wie das Quiet Quitting, also junge Mitarbeiter, die streng nach Vorschrift arbeiten: Sie wehren sich dagegen, ihren ganzen Sinn im Beruf zu suchen und riechen den Braten: Wenn sie nur noch arbeiten, haben sie keine Zeit mehr, sich um politische, soziale oder familiäre Themen in ihrem Umfeld zu kümmern.

Wieso könnte es sich lohnen, im Büro in der dienstlichen Rolle zu bleiben?

Weil unser ganzes Leben ein Rollenspiel ist, und das unser Leben erst so spannend macht. Das authentische Selbst, das auf Entfaltung wartet, gibt es nämlich nicht. Wer in allen Situationen immer als die gleiche „authentische“ Person agiert, landet schnell auf der Therapeuten-Couch. Es ist wichtig und gesund, verschiedene Rollen einzunehmen: Vater, Sohn, Mitarbeiter, Partner, Sportler, Freund. Auch in der Firma: Mal Kollegin, Chefin, Untergeordnete, mal überzeugte Repräsentantin der Firma vor Bewerbern und dann im Strategiemeeting wieder scharfe Kritikerin.

Dabei könnte helfen, dass es nicht den einen Sinn der Arbeit gibt?

Ja, es gibt mindestens drei "Wahrheiten" beim Blick auf Arbeit: Meine individuelle Bewertung, die Bewertung meines Teams/ meiner Organisation und die Bewertung von außen, der Branche, der Gesellschaft, des Planeten. Die Kunst besteht darin, alle Ansprüche miteinander zu verhandeln. Was für mich sinnvoll ist, muss noch lange nicht gut sein für die Organisation. Was der Organisation nützt, schadet vielleicht dem Planeten. In allzu emotionalisierten, auf Selbstverwirklichung ausgelegten Organisationen ist es manchmal schwierig, sich den offenen Blick dafür zu bewahren. 

Wie also könnte ihre Empfehlung für eine gesunde Sinnsuche lauten: "Bring your whole self to life"?

Ich formuliere es so: Find the true meaning of work in the social space.



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