Bei Kaufland haben durch die Integration schon mehr als 6200 bisherige Real-Mitarbeiter eine neue berufliche Perspektive erhalten, von mindestens 12.000 ging Kaufland aus, als erst von 102 Standorten die Rede war. Doch diese Zahl wächst. "Sie sind die Experten vor Ort, kennen das Geschäft und die Kunden", betonen die Neckarsulmer als Pluspunkt. In den ersten Monaten werden die neuen Kollegen von Paten- und Trainerteams aus erfahrenen Kaufland-Mitarbeitern unterstützt und Schritt für Schritt eingearbeitet. Da sich insbesondere die technischen Systeme und Prozessabläufe unterscheiden, sei das der fachliche Schwerpunkt der Einarbeitung.
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Aus Sicht der Gewerkschaft scheinen die Übernahmen relativ gut anzulaufen, obwohl Real-Mitarbeiter bei neuen Arbeitgebern aus Verdi-Perspektive durchaus etwas zu verlieren haben: Tarifgehälter und einen hohen Organisationsgrad. "Gut finden wir, dass dort, wo Kaufland, Edeka und Globus Märkte übernehmen, die Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz behalten und der Übergang nach BGB §613a ihre rechtlichen Arbeitsbedingungen sichert", resümiert Heino-Georg Kaßler, der als Handelsexperte für Verdi NRW auch Mitglied des Aufsichtsrats von Real ist. Gut findet er auch, dass der größte Investor, Kaufland, sich schon im September 2020 zur Übernahme der Betriebsratsstrukturen committet hatte. Zwischenzeitlich sei es mal zu Irritationen gekommen: Verdi druckte im vergangenen November ein Flugblatt "Hände weg vom Kugelschreiber", um Ex-Real Mitarbeiter davor zu warnen, sofort einen neuen Kaufland-Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Aus heutiger Sicht mag Kaßler Kaufland gar nicht mehr unterstellen, dass das Unternehmen dabei mehr im Sinn hatte als eine Vereinheitlichung der Verträge. Denn um Lohndumping ging es ganz bestimmt nicht: Die Neckarsulmer zahlen 2785 Euro, nimmt man Verkaufskräfte der Gehaltsgruppe 1 im sechsten Berufsjahr als Richtgröße. Das sei mehr als der 2018 bereits eingefrorene Real-Tariflohn von 2579 Euro und viel mehr als der später abgeschlossene DHV-Haustarif von 2100 Euro. "Einige Mitarbeiter haben unterschrieben", weiß Kaßler. Was sie für das bessere Gehalt riskieren, ist der Verzicht auf Regelungsgegenstände aus dem §613a wie Abfindungsansprüche nach einem Jahr Kündigungsschutz. "Das hätte Kaufland nicht machen sollen. Ansonsten halten sie alle Zusagen ein."
Bei Globus, hat Kaßler gehört, freuen sich die Beschäftigten darüber, dass das Sortiment dem von Real ähnlich ist. So müssten sich weniger Verkäufer als bei Kaufland und Edeka von Nonfood auf Food umorientieren. Um rund 5 000 Arbeitsplätze geht es, Betriebsratsstrukturen seien vorhanden. Wermutstropfen für den Verdi-Sekretär: Die Entgelte liegen unter Tarif und Globus hat eine 40-Stunden-Woche. 37,5 sind es in den Altverträgen von Real. "Tarif wäre aus unserer Sicht schon Mindestbedingung." Doch von der Belegschaft in Krefeld hört er, dass sie sich "sicher und happy fühlt, weil sie keine Angst mehr vor einer Schieflage hat". Positiv auch: Globus stelle viele zusätzliche Leute ein.
„Wir wohnen einem großen gruppendynamischen Experiment bei: Welcher der drei Player kann am besten Menschen integrieren? Kaufland, Globus oder Edeka?“
Thorsten Bosch, Berater
Mit mehr Fragezeichen sind für ihn Edekas Pläne versehen. Der Händler halte sich sehr bedeckt, ob Märkte direkt übernommen werden. Dann gilt der §613a. So geschehen bei Edeka-Regiemärkten, aber auch bei Marktkauf Stenger in Aschaffenburg. Edeka-Händler Matthias Stenger sagt, man arbeite "konstruktiv mit dem Betriebsrat zusammen". Für ein Jahr zahle er weiter den Haus-Tarif von Real, danach werde sich wenig ändern. Das Lohnniveau in seinen anderen Märkten sei ähnlich. Verdi-Mann Kaßler sieht die Entwicklung in NRW weniger optimistisch. Hier wolle Edeka es den selbstständigen Händlern überlassen, ob sie nur Teile der Fläche nutzen oder alte Gebäude komplett abreißen. In beiden Fällen entfalle der Tatbestand des Betriebsübergangs. "Was passiert dort mit der Belegschaft?", fragt sich Kaßler. "Und wie werden die Leute bezahlt?" An den Real-Musterlohn von 2 579 Euro könnten bei selbstständigen Kaufleuten höchstens Metzger anknüpfen.
Unter der Edeka-Flagge wird es verschiedene Lösungen geben. Neben Übernahmen auch Schließungen und eine Teilnutzung der Flächen.
Summa summarum hätte Kaßler die Fortführung von Real als solventes Unternehmen am besten gefallen. "Kaufland zeigt ja, dass die Großfläche funktioniert." Doch habe die Aufteilung bewirkt, "dass das Schlecker-Horrorszenario abgewendet und zahlreiche Arbeitsplätze erhalten werden konnten". Handelsberater Torsten Bosch freut sich indes, einem großen gruppendynamischen Experiment beizuwohnen: "Welcher der drei Player kann am besten Menschen integrieren? Kaufland, Globus oder Edeka?" Viel hänge von der Roadmap für die Erweiterung und Integration ab, glaubt Bosch. Mittlerweile sei ja eine vierte Gruppe rund um den Anwalt und Restrukturierer Sven Tischendorf hinzugekommen, die die unverkäuflichen Real-Märkte doch weiterführen will. "Ein florierendes Handelskonzept würde mich hier verblüffen. Dann hätten sich ja alle anderen Interessenten geirrt."