Eine Schließungswelle infolge des Online-Booms überrollt den US-Handel. Bis zum Jahresende könnten weitere 8600 Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von insgesamt 13,7 Mio. qm dichtmachen. Vor allem die Warenhäuser und Einkaufszentren sind betroffen.
In Börsenkreisen nennt man es den "Amazon Effect": Leerstehende Einkaufszentren von Arizona bis Manhattan, Räumungsverkäufe in Warenhäusern und die Vernichtung von Milliarden Dollar Börsenwert der meisten stationären Händler. Das sind jedoch nur äußere Zeichen einer allgemeinen Malaise im US-Handel. Nach Berechnungen der Bank of America Merrill Lynch ist dessen Gesamtverkaufsfläche seit 2010 um ein Zehntel zurückgegangen und schrumpft weiter.
Und auch die Credit Suisse Bank geht davon aus, dass noch 8 600 Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von insgesamt 13,7 Mio. qm allein bis zum Jahresende schließen könnten – das sind mehr als unmittelbar nach der Finanzkrise von 2008/09. Diese Statistik betrifft nicht nur kleine Start-ups, sondern durchaus auch illustre Traditionshändler wie die Warenhausbetreiber JC Penney, Macy‘s oder Sears, die in diesem Jahr insgesamt mindestens 356 Filialen dichtmachen wollen.
Das ist mehr als die Hälfte des Börsenwertes aller stationären Händler zusammengezählt. Denn im Zuge des scheinbar unaufhaltsamen Aufstieges der Online-Händler hat der Koloss seine Jahresumsätze seit 2010 mehr als verfünffacht. Heute erreicht sein Kundenbindungsprogramm Amazon Prime bereits die Hälfte aller US-Haushalte.
Die aktuelle Strukturkrise hängt auch mit einem Verkaufsflächenüberhang historischen Ausmaßes zusammen. Seit Jahrzehnten hat eine vollkommen entfesselte US-Finanzindustrie einen bedeutenden Anteil ihrer ausufernden Liquidität in Handelsimmobilien gesteckt. Die einheimische Bauindustrie sowie viele Händler haben hier bereitwillig mitgemacht.
Nach dem Platzen der Spekulationsblase während der Finanzkrise stehen viele stationäre Handelskonzerne nun mit hohen Schulden da, die mit Immobilien abgesichert sind. Deren Verkehrswert, so der weltgrößte Immobilien-Investor Blackstone, ist jedoch allein seit 2015 um durchschnittlich 40 Prozent gefallen.
Die finanzielle Situation der Händler wird ausgerechnet durch jene Spekulanten verschlimmert, die die Krise maßgeblich herbeigeführt haben. Im Rahmen des aktuellen "Retail Big Short" tätigen US-Hedge-Fonds zunehmend Leerverkäufe von Handelsaktien und vernichten dabei ihren Börsenwert. "Wir betrachten Amazon als den Eisberg, der das Handelsschiff Titanic senken wird", sagt Stephen Ketchum, CEO des Hedgefonds Sound Point Capital, gegenüber der FT klipp und klar.
Die hierdurch ausgelöste Schockwelle ist sogar über den Atlantik geschwappt und hat die Börsenkurse der britischen LEH-Marktführer Tesco und Sainsbury‘s sowie von Carrefour und Ahold Delhaize auf dem europäischen Festland ebenfalls geschwächt.
Ein Licht in der Dunkelheit ist für die US-Händler nicht auszumachen. Auch wenn, laut Berechnungen von Credit Suisse, zurzeit nur leicht mehr als 10 Prozent aller Handelsumsätze online (ohne den Versandhandel) getätigt werden, steigt deren Anteil doch stetig an. Die Marktanteile der meisten stationären Vollsortimenter kennen dagegen nur eine Richtung – weiter nach unten.