Warenhäuser: Ausverkauf der stationären Händl...
Warenhäuser

Ausverkauf der stationären Händler in den USA

jmv, CC-BY
Allein Sears, JC Penney und Macy‘s machen in diesem Jahr insgesamt rund 360 Filialen dicht.
Allein Sears, JC Penney und Macy‘s machen in diesem Jahr insgesamt rund 360 Filialen dicht.
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Eine Schließungswelle infolge des Online-Booms überrollt den US-Handel. Bis zum Jahresende könnten weitere 8600 Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von insgesamt 13,7 Mio. qm dichtmachen. Vor allem die Warenhäuser und Einkaufszentren sind betroffen.

In Börsenkreisen nennt man es den "Amazon Effect": Leerstehende Einkaufszentren von Arizona bis Manhattan, Räumungsverkäufe in Warenhäusern und die Vernichtung von Milliarden Dollar Börsenwert der meisten stationären Händler. Das sind jedoch nur äußere Zeichen einer allgemeinen Malaise im US-Handel. Nach Berechnungen der Bank of America Merrill Lynch ist dessen Gesamtverkaufsfläche seit 2010 um ein Zehntel zurückgegangen und schrumpft weiter.

Und auch die Credit Suisse Bank geht davon aus, dass noch 8 600 Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von insgesamt 13,7 Mio. qm allein bis zum Jahresende schließen könnten – das sind mehr als unmittelbar nach der Finanzkrise von 2008/09. Diese Statistik betrifft nicht nur kleine Start-ups, sondern durchaus auch illustre Traditionshändler wie die Warenhausbetreiber JC Penney, Macy‘s oder Sears, die in diesem Jahr insgesamt mindestens 356 Filialen dichtmachen wollen.


Gleichzeitig überrollt eine Pleitewelle ohnegleichen den Handel. Allein seit Januar haben, BankruptcyData.com zufolge, mehr als 300 US-Einzelhändler Insolvenz anmelden müssen. Hierzu gehören zum Beispiel der Warenhausbetreiber Gordmans Stores, der UE-Fachmarktbetreiber RadioShack oder der DOB-Filialist The Limited. Sogar die Warenhausikone Sears schwächelt. Der hoch verschuldete Konzern, zu dem auch Kmart gehört, hegt "erhebliche Zweifel" daran, ob er das operative Geschäft wird aufrechterhalten können.

Für die Mitarbeiter ist diese Wirklichkeit noch brutaler. Dem Bureau of Labor Statistics zufolge haben in diesem Jahr monatlich im Schnitt 9000 Angestellte ihren Job verloren. Bezeichnenderweise passiert dies in einer US-Wirtschaft, die insgesamt seit acht Jahren wächst und derzeit vom so genannten "Trump-Boom" profitiert.

Kurse renommierter Händler fallen

Die Summe dieser negativen Entwicklungen ist auch am Aktienindex S & P 500 Retail zu erkennen. Während die Aktienkurse von renommierten Händlern wie JC Penney, Macy‘s oder Sears seit Anfang 2015 zweistellig gefallen sind, erreichte die Marktbewertung des Online-Riesen Amazon Ende vergangener Woche sogar die 500-Mrd.-Dollar-Marke an der Wall Street.


Das ist mehr als die Hälfte des Börsenwertes aller stationären Händler zusammengezählt. Denn im Zuge des scheinbar unaufhaltsamen Aufstieges der Online-Händler hat der Koloss seine Jahresumsätze seit 2010 mehr als verfünffacht. Heute erreicht sein Kundenbindungsprogramm Amazon Prime bereits die Hälfte aller US-Haushalte.

Kursvergleich Amazon vs. Händler

Warenhäuser und Einkaufszentren in der Todesspirale

Dies trifft zwei Segmente besonders hart: die Warenhäuser und die Einkaufszentren des Landes. Allein seit 2015 sind die Umsätze der US-Warenhäuser insgesamt um 18 Prozent gefallen. "Sie befinden sich in einer Todesspirale", meint Scott Rothbort, Professor der Business School Seton Hall University, gegenüber den Medien. Die Misere der Warenhäuser wird unfreiwillig von den Shopping Malls (Einkaufszentren) geteilt, deren Anker-Mieter die Warenhäuser oftmals sind. Den Immobilienanalysten von Cushman and Wakefield zufolge ist ihre Besucherzahl seit 2010 kontinuierlich zurückgegangen. Experten schätzen, dass jede vierte der noch rund 1200 Malls in den Vereinigten Staaten in der kommenden Dekade verschwinden wird.

Die aktuelle Strukturkrise hängt auch mit einem Verkaufsflächenüberhang historischen Ausmaßes zusammen. Seit Jahrzehnten hat eine vollkommen entfesselte US-Finanzindustrie einen bedeutenden Anteil ihrer ausufernden Liquidität in Handelsimmobilien gesteckt. Die einheimische Bauindustrie sowie viele Händler haben hier bereitwillig mitgemacht.

2,2 qm Verkaufsfläche pro US-Bürger

Nach Berechnungen der Analysten von Cowen und Company ist die Eröffnungsrate der Shopping Malls seit den 1970-er Jahren mehr als doppelt so steil wie das Wachstum der Bevölkerung. So entfallen heute, dem Wirtschaftsprüfer PwC zufolge, 2,2 qm Verkaufsfläche auf jeden US-Bürger. "Man sagt, das Internet töte den stationären Handel, in Wirklichkeit bringt er sich selbst um", sagt Greg Maloney, US-Chef des Immobilien-Dienstleisters JLL, gegenüber der Financial Times (FT).

Nach dem Platzen der Spekulationsblase während der Finanzkrise stehen viele stationäre Handelskonzerne nun mit hohen Schulden da, die mit Immobilien abgesichert sind. Deren Verkehrswert, so der weltgrößte Immobilien-Investor Blackstone, ist jedoch allein seit 2015 um durchschnittlich 40 Prozent gefallen.

Die finanzielle Situation der Händler wird ausgerechnet durch jene Spekulanten verschlimmert, die die Krise maßgeblich herbeigeführt haben. Im Rahmen des aktuellen "Retail Big Short" tätigen US-Hedge-Fonds zunehmend Leerverkäufe von Handelsaktien und vernichten dabei ihren Börsenwert. "Wir betrachten Amazon als den Eisberg, der das Handelsschiff Titanic senken wird", sagt Stephen Ketchum, CEO des Hedgefonds Sound Point Capital, gegenüber der FT klipp und klar.

Aktienkurse von LEH-Filialisten unter Druck

Inzwischen werden auch die Aktienkurse der börsennotierten LEH-Filialisten negativ beeinträchtigt. Dies ist zunächst überraschend, denn Finanzinvestoren haben große Player wie Kroger oder Walmart traditionell als Defensivwerte angesehen. Doch spätestens seit Amazons kürzlichem Kaufangebot für den texanischen Naturkosthändler Whole Foods gelten auch deren Kurse als gefährdet. Viele Analysten glauben jetzt, dass Amazon seinen Erfolg bei Büchern, Musik und Mode auch bei Lebensmitteln reproduzieren wird. "Der Koloss will offenbar mittelfristig einen bedeutenden Anteil am eine Billion-Dollar schweren US-Konsumgütermarkt", sagt Wolfe Research-Analyst Scott Mushkin gegenüber der FT.

Die hierdurch ausgelöste Schockwelle ist sogar über den Atlantik geschwappt und hat die Börsenkurse der britischen LEH-Marktführer Tesco und Sainsbury‘s sowie von Carrefour und Ahold Delhaize auf dem europäischen Festland ebenfalls geschwächt.

Ein Licht in der Dunkelheit ist für die US-Händler nicht auszumachen. Auch wenn, laut Berechnungen von Credit Suisse, zurzeit nur leicht mehr als 10 Prozent aller Handelsumsätze online (ohne den Versandhandel) getätigt werden, steigt deren Anteil doch stetig an. Die Marktanteile der meisten stationären Vollsortimenter kennen dagegen nur eine Richtung – weiter nach unten.






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