Durch die spektakuläre Architektur eingestimmt, empfängt der Markt seine Kundinnen und Kunden mit dem Besten, was er zu bieten hat. "Wir zeigen die komplette Frische am Anfang", erklärt Regionsleiter Scheider. Besucher laufen geradewegs in die 220 Quadratmeter große Obst- und Gemüse-Abteilung, die mit Ananas-Schälmaschine, Salatbar und Convenience-Produkten aus eigener Herstellung aufwartet. Kompetent präsentiert die Pilzabteilung Seltenheiten wie Buchenpilze und Limettensaitlinge. "Wir wollen alle Kunden ansprechen, aber wir wollen auch immer etwas Besonderes bieten", sagt Scheider. "10 bis 15 Prozent der Kunden sind bereit, dafür mehr zu bezahlen, und auch sie wollen wir bedienen."
Direkt neben Obst und Gemüse erstreckt sich die 21 Meter lange Frischetheke, an der 20 Mitarbeiter die Kunden beraten. In einer Showküche bereiten drei Köche Mahlzeiten zum Mitnehmen zu, von Burgern über Suppen bis zum Mittagsmenü. Schön wäre eine Gastronomie gewesen, wo Kunden die Speisen vor Ort verzehren könnten. Womöglich mitten im Markt, unter dem hohen Glasdach des Lichthofes, der den Blick auf das Gewächshaus auf dem Dach freigibt. Auch die Plattform im ersten Stock, auf der Besucher das Gewächshaus betrachten können, wäre ein stimmungsvoller Ort gewesen. Pesto aus dem dort angebauten Basilikum zu verkosten, hätte das Erlebnis weiter gesteigert.
Grün und nachhaltig
Doch die Macher haben sich dagegen entschieden – es hätte zu viel Platz gekostet. "Wir wollten einen Markt machen, der bundesweit in die Umsetzung gehen kann", sagt Maly. "An größeren Standorten ist Gastronomie aber denkbar." Der Vorteil: Auf diese Weise bleibt Rewe Händler – und wird nur dann zum Gastronomen, wenn es sich anbietet und rechnet. Ein kleines gastronomisches Angebot gibt es in Wiesbaden dennoch: Vorne rechts betreibt der regionale Bäcker Lohner ein Café mit 15 Sitzplätzen drinnen und 30 draußen.
Gewächshäuser sollen nicht auf allen neuen Märkten entstehen. Schließlich deckt allein der Wiesbadener Markt mit jährlich 800.000 Büscheln den Basilikum-Bedarf aller 480 Märkte der Rewe-Region Mitte. Vorstellen können sich die Macher aber weitere Standorte mit anderen Pflanzen, etwa Kräutern oder Tomaten. Zudem werden in Wiesbaden pro Jahr rund 20.000 Buntbarsche in 13 Becken gezüchtet, die für den Kunden nicht zu sehen sind. Ihre Ausscheidungen düngen im sogenannten Aquaponic-System das Basilikum auf dem Dach – wo außerdem fünf Bienenstöcke eines örtlichen Imkers stehen.
Grünes auf dem Dach wirkt nachhaltig, und das soll es auch. "Der Markt soll unsere Position als nachhaltiges Unternehmen unterstreichen", sagt Vollsortiments-Chef Maly. Nicht umsonst zeigen auf dem Besucherdeck sechs Bildschirme Filme zu Aquaponic, Lokalität und Bauweise. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen hat das Gebäude mit der höchsten Stufe Platin zertifiziert. Der Vorgänger, das Green Building, hatte Gold erreicht.
In Wiesbaden hat Rewe 1100 Kubikmeter heimisches Nadelholz verbaut, was mehr als 700 Tonnen Kohlendioxid speichert. Das Tageslicht im Markt spart elektrische Beleuchtung, Regenwasser wird für Reinigung, Toiletten und Dachfarm genutzt. Im Außenbereich gibt es möglichst wenig versiegelte Flächen, ein Insektenhotel sowie Grünstrom-Ladestationen für sechs E-Autos und acht E-Bikes.
Im Markt schließt sich an die Bedientheken noch ein hübscher Backshop an, in dem die Mitarbeiter vor den Augen der Kunden Brötchen in die Öfen schieben. Dann aber folgt der rationale Teil mit Trockensortiment, Getränken, Süß-, Drogerie- und Schreibwaren sowie Tiefkühlkost. Dieser Teil ist proportional zur Frische kleiner als in vergleichbaren Märkten. Das Sortiment wirkt weniger breit und tief – obwohl es insgesamt 25.000 Artikel umfasst. Auf 1500 Quadratmetern ist der Platz nun einmal begrenzt, und Rewe hat sich klar für die Frische entschieden.
Das Angebot an Kartoffelchips ist zum Beispiel überschaubar: Auf drei laufenden Metern finden sich lediglich sechs Marken. Ähnlich ist es bei Tafelschokolade (Zwölf Marken auf 2,50 Metern) oder Olivenöl (acht Marken auf drei Regalböden). Selbst bei Wein und Spirituosen, die das Genießer-Flair aus dem ersten Teil des Marktes unterstreichen könnten, hat sich Rewe auf einen Gang beschränkt. "Wir haben ja noch den Getränkemarkt", sagt Marktleiter Stefan Zizek. Die separate Fläche ist gut sortiert, bietet zum Beispiel Liebhabern von Rum, Gin oder Whisky eine schöne Auswahl mit insgesamt 6000 Artikeln. Sie liegt aber durch mehrere Gebäude deutlich abgetrennt vom Hauptmarkt.
Wegweisender Supermarkt
Der starke regionale Schwerpunkt zeigt sich indessen in beiden Teilen des Marktes: Der Getränkemarkt präsentiert aufmerksamkeitsstark regionale Biere und Gin aus dem nahen Oberursel. Der Lebensmittelmarkt zeigt auf den meisten Gondelköpfen offensiv regionale Ware, vom Apfelsaft aus Erbenheim bis zum Weingelee aus dem hessischen Kloster Eberbach. 8 bis 10 Prozent soll regionale Ware zum Umsatz beitragen, weitere 15 bis 20 Prozent sollen Bio-Artikel beisteuern.
72 lokale regionale Lieferanten hat Marktleiter Zizek akquiriert. Darunter sind 16 Wiesbadener Unternehmen, 13 aus den umliegenden Gemeinden und mehr als 40 aus dem Regionalprogramm "Landmarkt" von Rewe Mitte. Sogar an der Bedientheke gibt es Artikel mit dem Regional-Siegel "Geprüfte Qualität Hessen". "So viel Regionalität wie hier gibt es selten", sagt Zizek stolz. "In der Corona-Zeit hat das Thema Lokalität weiter zugelegt, und wir setzen hier noch einen drauf", ergänzt Scheider.
Regionales und Biologisches, dazu Frisches und Veganes: Da kann beim Kunden leicht der Eindruck eines hohen Preisniveaus entstehen. Schließlich kostet ein Pfund Kaffee der lokalen Rösterei Maldaner 15,80 Euro, der Erdbeer-Fruchtaufstrich von Weil's Bauernladen 13,17 Euro je Kilogramm. Auch in der Frische traut Rewe seinen Kunden etwas zu, von Trüffelsalami für 46,90 je Kilo bis zu Black-Tiger-Garnelen für 79,90 Euro.
Doch die Macher haben einen anderen Blickwinkel. "Wir bieten in diesem Markt den kompletten Ordersatz an Eigenmarken, natürlich inklusive Preiseinstieg", betont Scheider. Und tatsächlich fallen auch die Private Labels von "Ja" über "Rewe beste Wahl" bis zu "Rewe feine Welt" auf. Weniger im Fokus steht indessen Markenware.
Vorbildlich an dem Markt ist neben Architektur und Innovation auch die gute Sichtbarkeit aller Waren. Bei Gängen mit nur 7 bis 11 Metern Länge hat der Kunde alle Artikel im Blick – zumal die diagonal gestellten Regale in der Mitte des Marktes von beiden Seite zu sehen sind, also auf dem Hin- und Rücklauf.
Dem Digitalisierungsschub aus Corona-Zeiten trägt der Markt mit einer Abholstation Rechnung. Sechs Parkplätze sind für abholende Onlinekunden reserviert. "Wir rechnen mit 5 Prozent Umsatzanteil", sagt Scheider.
Unterm Strich bleibt tatsächlich ein wegweisender Supermarkt. Denn mit Eigenmarken, regionaler, biologischer und veganer Ware arbeitet Rewe in seinem neuen Modell-Markt seine Stärken konsequent heraus. Und das in einer spektakulären, nachhaltigen und multiplizierbaren Architektur. "So können wir uns gegen unsere lieben Freunde vom Discount wunderbar abgrenzen", sagt Bereichsvorstand Maly. Die Differenzierung vom Discount ist in der Tat so deutlich, dass es Rewe gelingen dürfte, Aldi, Lidl und Co konzeptionell lange Zeit auf Abstand zu halten. Und auch den Wettbewerber Edeka werden die Kunden künftig an diesem neuen Standard messen.