Partner der LZ für die Top-Marke ist wie immer die GfK. Von ihrer Seite steht das Projekt unter Leitung von Global Insights Director Robert Kecskes. Ihn hat die LZ zu den besonderen Leistungen der 100 Top-Marken und deren Bedeutung für die Entwicklung der Herstellermarken insgesamt befragt.
Herr Kecskes, was haben die 100 Top-Marken des Jahres 2019 gemeinsam?
Sie haben wie immer ihre Umsätze und Käuferreichweiten überdurchschnittlich gesteigert. Aber dafür gibt es nicht nur den einen Grund. Der Markt wurde besonders von drei Dingen getrieben: Discount, Startups und Nachhaltigkeit.
Wie wichtig waren dabei die Discounter?
Viele Marken sind vor allem wegen einer Listung im Discount zur Top-Marke geworden. So eine Listung treibt Umsatz und Reichweite einfach nach oben. Schließlich macht der Discount mehr als 40 Prozent des Lebensmittel-Umsatzes in Deutschland aus. Und die Markenlistungen haben bei Aldi und Lidl zugenommen.
Aber die Nebenwirkungen einer solchen Discount-Listung sind enorm, oder?
Ja, wenn Hersteller keine stabile, stimmige Markenführung haben, kann das Image leiden. Der Markenkern schleift sich ab. Außerdem werden die Verhandlungen mit anderen Händlern schwieriger. Denn wenn Aldi den günstigsten Preis durchsetzt, reagiert der Wettbewerb. Sobald ein Produkt bei Aldi gelistet ist, geht zum Beispiel die Schwarz-Gruppe damit sofort in die Promotion.
Und dann?
Dadurch sinkt tendenziell der Preis und nähert sich der Handelsmarke an. Das ist problematisch für die Markenführung. Vor Jahren haben wir das sehr deutlich bei Chips von Funnyfrisch gesehen. Auch wenn sich die Marke mittlerweile wieder aus dieser prekären Lage befreien konnte.
Dennoch steigt durch eine Listung im Discount die Chance, Top-Marke zu werden.
Ja – aber für das nächste Jahr ist dann die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie es nicht wieder wird. Denn im zweiten Jahr nach der Listung sind die Hebeleffekte verpufft. Der Hersteller ist in ein Hamsterrad aus Listung, Preis und Promotion eingestiegen, in dem er immer schneller laufen muss, um auf dem gleichen Platz zu bleiben.
Was ist mit Startups? Wie bedeutend sind sie heute noch?
Sie schaffen es immer wieder auf die Liste der Top-Marken. Als Star herauszuheben ist diesmal Gustavo Gusto. Dieses Startup hat sich mit einem neuen, handwerklichen Ansatz in der Kategorie Tiefkühl-Pizza gegen große Wettbewerber wie Nestlé und Dr. Oetker durchgesetzt. In der Tiefkühltruhe musste es für seine Produkte ja erstmal Platz bekommen. Aber mit dem Claim der großen, von Hand ausgerollten Pizza hat es geklappt. Nicht umsonst hat Dr. Oetker dann mit der ähnlichen Linie "La Mia Grande" nachgezogen.
Was ist das Geheimnis der jungen Gewürzmarke Just Spices?
Sie verkauft weniger Gewürze als vielmehr ein Genusserlebnis. Auf den klassischen Produkten in diesem oligopolistischen Markt steht einfach drauf, was drin ist. Bei Just Spices dagegen bekommt der Kunde schon durch die gezeichneten Menschen auf der Verpackung einen Eindruck davon, was er mit dem Gewürz machen und erleben kann. Das ist eine ganz andere emotionale Ansprache.
Können das große Anbieter nicht einfach nachmachen?
Das versuchen sie ja. Aber der Verbraucher ist durchaus sensibel dafür, wie ernsthaft die Ansprache ist. Er erkennt schnell, was authentisch ist und was nicht. Wenn nur die Verpackung ähnlich aussieht, bleibt er lieber beim Original. Wenn ein etablierter Hersteller etwas Ähnliches machen will, muss er es mit Herzblut tun.
Derzeit macht die Corona-Krise den Startups aber schwer zu schaffen, oder?
Ja, die kleineren Startups werden im Zuge der Rezession Schwierigkeiten bekommen, weil jetzt weniger Geld auf dem Markt ist, um sie zu finanzieren. Die Investitionen gehen zurück, die Anleger setzen andere Prioritäten. Aber kleine, junge Marken werden in der neuen Normalität wieder kommen, denn auf der Bedürfnisebene sind sie ganz nah beim Menschen. Die meisten Startups sind räumlich und sozial nah, verhalten sich achtsam, übernehmen soziale und ökologische Verantwortung. Alles Inhalte, nach denen die Menschen suchen, um Wege aus der Coronavirus-Krise zu finden.
Ist in so einer Situation Nachhaltigkeit wirklich noch angesagt?
Ja, unbedingt, in den nächsten Jahren wird das ein großes Thema bleiben. Bei der Top-Marke reden wir zwar von Daten aus dem vergangenen Jahr, aber auch da war Nachhaltigkeit durchaus erfolgreich. Frosch ist in dem Bereich der Klassiker, Frosta ist weiterhin sehr stark. Außerdem haben sich viele kleine Dinge im Bereich Verpackung getan. So ist das Körbchen für den WC-Stein von WC Frisch aus recycelbarem Plastik, die Umverpackung aus Pappe. Alpro gibt es jetzt auch im Glas. Alle genannten Beispiele sind Top-Marken. Es sind manchmal eben nur Nuancen, die ein erfolgreiches Produkt ausmachen.
Was ist mit dem Megatrend Gesundheit?
Zuckerfreie Getränke liegen weiterhin im Trend. Pepsi wächst weiter mit seiner zuckerfreien Variante und ist auf diese Weise zum zweiten Mal in Folge Top-Marke geworden. Auch Monster hat mit einer zuckerfreien Variante gepunktet. Das Paradoxe daran ist, dass dies ja eher ein Lifestyle-Getränk ist, das mit Gesundheit auf den ersten Blick nicht viel zu tun hat. Aber die gesündere, zuckerfreie Variante kommt gut an.
Gesundheit ist aber doch viel mehr als weniger Zucker. Welche anderen Ideen gab es?
Die Top-Marke Alpro hat die Verbraucher vor allem mit ihrem proteinhaltigen Skyr überzeugt. Der Protein-Trend boomt. Schauen Sie sich nur an, wie viele neue Produkte auf den Markt kommen. In einigen Kategorien ergibt es für den Handel Sinn, separate Protein-Flächen auszuweisen. Wie nach Veggie suchen viele Shopper inzwischen explizit danach.
Wann kommen wir zu Ihrem Lieblingsthema, der stimmigen Markenführung?
Marken, die kohärent geführt werden und Kontur zeigen, gewinnen auf Dauer – und werden immer wieder zur Top-Marke. Die klassischen Beispiele dafür sind Frosch und Frosta, die seit Jahren konsequent auf Nachhaltigkeit setzen und das gegenüber dem Kunden klar kommunizieren. Frosch ist fast jedes Jahr Top-Marke, dieses Jahr sogar mit zwei Produkten. Aber auch Iglo ist so ein Beispiel. Voriges Jahr haben sie bei Tiefkühl-Fisch gewonnen, dieses Jahr bei TK-Gemüse.
Aber sind das nicht immer die gleichen Beispiele? Ist das am Ende nur ein Ansatz für einige wenige Hersteller?
Auf keinen Fall. Nehmen Sie zum Beispiel die Aufstriche von Popp. Sie fokussieren sich auf Regionalität, Tradition – und auf Alternativen zum Fleisch. Klassische Rezepte wie Aioli oder Paprikapaste werden neu interpretiert. In der Werbung tritt der Besitzer Walter Popp wie ein Hipster auf. So holt er die Kategorie Feinkostsalate aus ihrem altmodischen Image heraus und baut die Marke stringent auf.
Wenn das so viel Erfolg verspricht, warum machen es dann nicht alle?
Börsennotierte Unternehmen haben ganz andere Umsatzziele als Popp. Und globale Konzerne haben andere strukturelle Voraussetzungen. Sie planen ihre Marke nicht für den deutschen, sondern für einen globalen Markt. Dadurch gehen regionale Besonderheiten verloren. Das gleichen die Konzerne dann durch Preis, Promotion und Marktmacht aus.
Sind Konzerne also zu weit weg vom deutschen Kunden?
Ja, zum Teil – und ich würde das gar nicht auf Deutschland beschränken. Wegen der zentralisierten Hierarchien und der globalen Positionierung der Marke ist die funktionale Qualität des Produkts hoch. Aber Verbraucher nehmen dies häufig als langweilig, kantenlos und soziokulturell irrelevant wahr. Deshalb empfehle ich ihnen: Gebt den nationalen Einheiten mehr Spielraum! Iglo hat das gemacht und ist dadurch nach langer Leidenszeit endlich wieder gut gewachsen.
Gehen wir noch eine Ebene tiefer: Wie können Marken den Trend zur Regionalität aufgreifen?
Ostmarken machen das immer wieder gut. Voriges Jahr waren es Backmischungen von Kathi, in diesem Jahr ist es Nudossi in der Kategorie Brotaufstrich. Trotz des starken Wettbewerbers Nutella wächst Nudossi stark im Osten Deutschlands, woher die Marke stammt. Dabei hilft ihr, dass sie unter den ersten war, die eine Rezeptur ohne Palmöl ausgelobt hat. Da werden Nachhaltigkeitsthemen mitgespielt, ohne dass gleich die ganze Marke nachhaltig wäre.
Markenhersteller rühmen sich oft ihrer Innovationskraft. Was war davon 2019 zu sehen?
Es gab in diesem Jahr keine ganz großen Innovationen wie in den letzten Jahren. Wir haben eher kleine Schritte bei Verpackungen und Geschmacksvarianten gesehen, zum Beispiel Pom-Bär mit Ketchup-Geschmack oder eine cremige Variante der Prinzenrolle.
Sind neue Produkte trotzdem noch wichtig?
Unbedingt. Die Tiefe des Sortiments ist bei den Top-Marken im Vergleich zum Vorjahr durchschnittlich um 1,3 Artikel gestiegen. Vor allem Hersteller von Kosmetik und Körperpflege wie LʻOréal und Nivea haben ihre Produktlinien ausgebaut.
Wie erklären Sie sich den Erfolg von Bonne Maman?
Er ist auf den ersten Blick kaum zu erklären. Die Marke bedient keinen Trend, sie ist nicht zuckerreduziert und bewegt sich obendrein in einem rückläufigen Markt, denn es wurde bis vor Corona immer seltener gefrühstückt. Aber die Basisarbeit des Vertriebs war ausgezeichnet. Es gab ein sehr gutes Category Management, anscheinend kluge Verhandlungen mit Händlern und häufige Promotions.
Wie schlägt sich die Herstellermarke generell gegenüber der Handelsmarke?
Ihr Marktanteil ist gestiegen – nicht nur wegen der Listungen im Discount, sondern auch bei den Vollsortimentern. Das gilt übrigens noch immer, auch in Corona-Zeiten.
Aber wird es angesichts der drohenden Rezession so bleiben?
Marken haben immer noch ihre Strahlkraft. Der Kunde kann mit ihnen signalisieren: Ich gehöre zur Mittelschicht, ich kann mir die Qualität leisten. Aber wenn der Handel es schafft, den extrem starken Imagegewinn aus der Corona-Zeit auf seine Handelsmarken zu übertragen, dann werden sie aufholen. Zudem wird die Preissensibilität der Kunden in dem Maße zunehmen, in dem sich die Wirtschaftskrise und vor allem die Arbeitslosigkeit verschärft.
Müssen wir dann die Trends vergessen, über die wir eben gesprochen haben?
Interessanterweise nicht. Obwohl die Verbraucher sensibel gegenüber wirtschaftlichen Entwicklungen sind, haben sie in der Krise bis heute mehr nachhaltige Produkte gekauft als vorher. Nachhaltigkeit, Gesundheit und Qualität werden eher noch wichtiger.
Warum ist das so?
Die Menschen erkennen, dass Nachhaltigkeit und die Corona-Pandemie der gleichen Quelle entspringen. Nämlich der, wie wir mit uns selbst, mit anderen und der Umwelt umgehen. Daher wird Nachhaltigkeit ein großes Thema bleiben. Gesundheit wird dabei in den nächsten Monaten eine noch stärkere Bedeutung erhalten. Solange wir in Zeiten der Ansteckung leben und es keinen Impfstoff gibt, geht es darum, auf natürliche Weise Abwehrkräfte zu entwickeln. Neben Sport ist hierfür die Art der Ernährung von zentraler Bedeutung.