Zum 12. Mal zeichnet die LZ die Klassenbesten in 100 Warengruppen des Food- und Drogeriewarensortiments aus. Ermittelt werden sie von der GfK. Den Projektleiter Dr. Robert Kecskes, Global Insights Director, Advanced Solutions Consumer Panels & Services, haben wir gefragt, worin er die besondere Leistung unserer 100 Top-Marken sieht und was das für die Entwicklung der Herstellermarken insgesamt bedeutet.
Herr Kecskes, vor einem Jahr haben wir für die Top-Marken von einer Renaissance der Markenklassiker gesprochen. Lässt sich das fortschreiben?
Es ist in der Tat so, dass der Marktanteil der Herstellermarken wieder wächst – um 0,5 Punkte im Jahr 2018 gegenüber dem Vorjahr.
Das klingt immer noch nach Turnaround.
Das Wachstum der Herstellermarken ist allerdings darauf zurückzuführen, dass die Marken-Einlistungen im Discount durchschlagen, vor allem bei bei Aldi. In allen anderen Vertriebsschienen wachsen weiter die Handelsmarken, obwohl der Zuwachs dort mit 0,3 bis 0,4 Punkten nicht groß ist.
Aldi spielt also nach wie vor eine Schlüsselrolle?
Ja, das hatten wir schon im Vorjahr konstatiert. Marken wachsen dank der Listung bei Aldi.
Und bleibt das so?
Davon müssen wir ausgehen. Bei der Top-Marke im kommenden Jahr dürfte sich der Effekt der Markenlistung bei Aldi noch verstärken, weil der Discounter mit diesen Marken massiv in die Promotion geht. Das war 2018 noch nicht der Fall.
Dennoch ein Erfolgsmodell für Markenhersteller?
Einige Marken sind durch die Aldi- oder auch Lidl-Listungen zur Top-Marke geworden. Dann geht es wie im Fahrstuhl schnell hinauf. Im Folgejahr stabilisiert sich das Penetrationsniveau (Käuferreichweite = Wie viele Haushalte haben das Produkt wenigstens einmal im Jahr gekauft?/ A.d.R.). Bei Auslistung kann es allerdings schnell wieder nach unten gehen.
Trauen Sie sich eine Aussage zu, wie es um die Verfassung der klassischen Marken bestellt ist?
Das Bild ist sehr unterschiedlich. Viele Marken verlieren ihr Charisma, da sie im Battlefield of Competition feststecken – in einer Welt, in der Instrumente wie Preis, POS-Kampf und Promotions im Vordergrund stehen.
Das macht doch auch Sinn!
Ja, keine Frage, durchaus. Aber der Erfolg ist meist ein kurzes Glück. Legen Sie als Markenanbieter eine Pause im Promotionskampf ein, dann fallen Sie sofort zurück. Viele Marktteilnehmer sind im Hamsterrad gefangen.
Es gibt aber auch Marken, die es gut machen. Sonst würden wir nicht zusammensitzen.
Die gibt es. Die gehen oft den kohärenten Weg, indem sie neue Werte transportieren, die den Zeitgeist treffen. Ihnen fehlen oft die ganz großen Umsatzsprünge. Aber sie kommen Stück für Stück voran.
Was sind noch Erfolgsfaktoren?
Marken wachsen weiterhin über die Innovation.
Wie kann das sein? Der Handel beklagt doch gebetsmühlenartig, die Kraft und Kreativität für Innovationen sei vielen Herstellern abhanden gekommen.
In meinen Augen ist das nur teilweise richtig. Wenn Sie an eine funktionale Innovation wie beispielsweise Ariel 3-in-1 denken, oder an Knoppers, die zum zweiten Mal Top-Marke wurden, dann sind es immer noch die klassischen Marken, die Impulse setzen. Wobei es sich dabei meist um funktionale, am Produkt orientierte Innovationen handelt.
Was fehlt Ihnen?
Geringer ausgeprägt sind die sozialen, nachhaltigen Innovationen, mit denen eine Verbindung zum Shopper auf einer emotionalen, werte-orientierten Ebene hergestellt wird. Dazu sind Start-ups und Exklusivmarken vielfach eher in der Lage.
Sind unsere diesjährigen Top-Marken in der Welt der Interaktion anzusiedeln oder schon mehr in der Welt der besonderen Emotion, der sozialen Kompetenz und der Nachhaltigkeit?
Ich sehe die Tendenz, dass Marken zusehends in diese Richtung gehen und versuchen, aus dem Hamsterrad herauszukommen. Käuferreichweite ist natürlich weiter der Schlüssel. Wer auf diesem Feld schwächelt, hat keinen Erfolg. Aber es ist nur der Schlüssel für das Gartentor, um die Haustür zu öffnen, bedarf es mehr.
Innovation allein reicht nicht aus?
Ich denke nicht. Ich erinnere an die Top-Marke Ariel 3 in 1 vom vergangenen Jahr. Das Produkt war noch Champion in unserer Analyse bis Oktober 2018. Für das Gesamtjahr lässt sich das nicht aufrechterhalten.
Was ist passiert?
Jetzt gibt es eine Version 3-in-1 von Rossmann. Procter hat zudem auch bei Lenor ein 3-in-1-Konzept auf den Markt gebracht. Jetzt ist Lenor Top-Marke und Champion!
Mit Nachahmerprodukten und Kannibalisierung lebt die Branche doch schon lange.
Ich will ja auch nicht argumentieren, dass es falsch ist, Innovationen zu bringen und mit neuen Produkten nachzulegen. Aber es kostet eben sehr viel Geld; und ohne ein "Markencharisma" muss weiter gerannt werden, nur um auf dem gleichen Platz zu bleiben.
Jetzt bringen Sie sicherlich Frosch als Beispiel für eine kohärente Marke, die sich ein stückweit von den alten Mechanismen befreit hat.
Das könnte ich. Aber ich kann auch Iglo anführen. Sie werden in ihrer Kategorie TK-Fisch wieder als Top-Marke ausgezeichnet, wie schon im Jahr davor. Sie haben nicht den ganz großen Innovationssprung wie Ariel oder Knoppers. Aber die Intensivierung der Werbefigur des Kapitäns und die konsequent nachhaltige Positionierung bringt Marktanteilsgewinne. Und die Marke erhält wieder eine Kontur.
Haben Sie weitere gute Beispiele?
Kühne wird oft unterschätzt. Das Unternehmen bewegt sich bei Konserven in sehr traditionellen Kategorien. Aber Kühne gelingt es, sich Stück für Stück zu modernisieren. Bei Essig hat es Kühne dieses Jahr zur Top-Marke geschafft, im Vorjahr in der Kategorie Sauerkonserven.
Und neuere Produkte wie Gemüsechips oder Knuspererbsen...
Ja, aber es ist fast noch heroischer, die traditionellen Produkte weiterzuentwickeln, die junge Verwender eher weniger ansprechen. Kühne ist in zahlreichen Kategorien sehr gut unterwegs; ohne viel Aufhebens davon zu machen, aber sehr kontinuierlich. Es könnte gut sein, dass die Innovationen in neue Segmente insgesamt positiv auf die Marke Kühne abstrahlen.
Heißt dies, Kühne macht mehr als funktionale Weiterentwicklung?
Ja, das ist ein Mix aus vielen Komponenten wie Verpackung, neue Produkte und Gesamtauftritt des Unternehmens. Das alles lädt die Marke Kühne positiv auf. Und es zeigt sich, dafür sind nicht immer teure TV-Ausgaben oder kostspielige Promotions nötig.
Sie sagen, wenn Marken für nachhaltige Werte stehen und Charisma entwickeln, können sie über lange Zeiträume bei Loyalität, Penetration, Marktanteil punkten...
So ein Beispiel ist für mich Frosta. Sie fahren seit Jahren eine sehr kohärente Markenpolitik, selbst wenn sie es jetzt mit Iglo im Segment der Fertiggerichte mit einem starken Wettbewerber zu tun bekommen.
Und die Verpackung. Kann sie ein starker Hebel sein?
Absolut. Sehen Sie sich das transparente Glas von Göbber mit der Aufschrift Glück an, eine weitere LZ Top-Marke und Champion in unserer Erhebung. Hier gelingt es bei Marmelade sehr gut, nachhaltig orientierte Kundengruppen anzusprechen, obwohl sich der Inhalt kaum von Schwartau unterscheiden dürfte. Viele Verbraucher denken wohl, das muss ein Start-up sein, sie verbinden damit Attribute wie Gesundheit und Authentizität.
Gibt es Beispiele dafür, wo die Transformation in neue Werte-Welten gelingt?
Zwar ist dieses Mal Pepsi-Cola Top-Marke geworden. Aber Coca-Cola macht es seit einigen Jahren schon sehr gut. Sie haben es geschafft, langsam vom Hedonismus zur Verantwortung zu kommen. Das Thema zuckerfrei wurde gut gespielt. So ist es gelungen, im Segment der cola-haltigen Getränke die nachhaltigsten Käufer zu haben. Für mich ist das ein Beispiel, wie es gelingt, in einer per se nicht wirklich gesunden Kategorie Verantwortung zu übernehmen.
Evolution statt Revolution?
Katjes ist für mich ein anderes gutes Beispiel für evolutionäre Markenveränderung, wodurch in einer süßen Kategorie Verantwortung und Gesundheit zusammengeführt werden. Viele verbinden Katjes heute unmittelbar mit vegan und veggie. Da ist die Transformation glaubwürdig gelungen. Katjes ist heute sehr innovativ. Das Unternehmen war sogar mit einem Stand bei der Kosmetikmesse Glow in Wien vertreten. So werden neue Verwendergruppen erreicht. Sie sind damit mitten drin im Leben junger Menschen. Die jubeln heute über die Begegnung mit einer Kosmetik-Influencerin und demonstrieren morgen für ein besseres Klima.
Die große Lösung scheint es nicht zu geben. Also führen nach wie vor viele Wege nach Rom?
Sicher, es gibt viele Hebel, die man bewegen kann. Ich unterscheide ja bewusst den funktionalen Hebel, der über Preise, Listungsgelder und ähnliches funktioniert. Und den anderen Hebel, der meiner Meinung nach langfristig und nachhaltig Erfolg verspricht. Heute müssen wir sagen, die großen Marken setzen eher auf die funktionalen Hebel. Die kleinen haben häufig die finanziellen Möglichkeiten nicht. Sie versuchen das über die größere Nähe zum Shopper wettzumachen.
Führt der letztere Weg eher aus dem Hamsterrad heraus?
Das würde ich so sagen. Schauen Sie auf Kaffee oder Sekt. Wo gibt es da noch Markenbindung? Die großen Marken von damals sind oft nur noch Namen. Dann ist aber nicht mehr die Marke, sondern nur noch der Preis das ausschlaggebende Kaufkriterium. Die Marke wird dadurch austauschbar. Promotion treibt die Käuferreichweite, sie hat aber einen negativen Einfluss auf die Markenbindung.
Gewinnt Vertrauen weiter an Bedeutung?
Das ist nicht leicht zu messen. Aber wir sehen: Alle erfolgreichen Marken thematisieren vorrangig zwei Themenfelder: Das eine ist Nachhaltigkeit und Gesundheit, das andere Hedonismus, wo Genuss und Spaß im Vordergrund stehen. Bei den Start-ups gehört die Verbindung dieser Attribute praktisch zur Grundausstattung. Bei den multinationalen Herstellern wirkt es oft aufgesetzt und belehrend, wenn sie zu erklären suchen, warum ein Artikel nachhaltig ist und trotzdem Spaß macht. Für sie ist es besonders schwierig, weil ihnen nicht wenige Konsumenten schlechte Dinge unterstellen.
Lässt sich das wieder beheben?
Das ist nicht einfach. Das Vertrauen in große, etablierte Marken sinkt weiter. Selbst wenn sich heute die negative Entwicklung nicht mehr fortsetzte, so wird das Vertrauen in Markenhersteller weiter zurückgehen. Denn überwiegend ältere Menschen haben Vertrauen in klassische Marken. Doch sie verabschieden sich sukzessive und die jungen, neu hinzukommenden Haushalte kommen mit einem geringeren Markenvertrauen in den Markt.
Worauf kommt es an?
Die neuen Werte, zu den auch Regionalität und Lokalität zählen, müssen glaubhaft vermittelt werden. Und man muss kohärent und authentisch in der Markenführung sein, sonst droht gleich der nächste Shitstorm in den sozialen Medien. Aber klar ist auch, die großen Marken strahlen zu wenig aus, besitzen zu wenig Ecken und Kanten. Daran muss gearbeitet werden. Das lineare und eindimensionale Denken in vielen großen Unternehmen muss überwunden, vermeintliche Widersprüche aufgenommen und Lösungen angeboten werden.