Der Konsumgüterriese Unilever wurde im Frischebereich mit seinen Brands "The Vegetarian Butcher" und "Ben&Jerry’s" ausgezeichnet. Wie ordnen Sie das ein?Das passt durchaus ins Bild. Denn mit beiden Marken verbinden die Käufer eine ganz andere Kultur. Ebenso wenig wie die Vegetarian-Butcher-Produkte unter dem Markendach von Knorr funktionieren würden, würde Garden Gourmet unter Maggi funktionieren. Die ganz Großen haben es immer schwerer, unter ihren klassischen Markennamen die junge kreative Mittelschicht mitzunehmen. Darauf muss sich auch der Handel einstellen.
Was meinen Sie damit konkret?Kulturmarken bezeichne ich als Pluspreis-Eckartikel, hier muss der Händler zeigen: Ich führe diese "Marken für eine bessere Welt". Rein funktionale Marken sind Minuspreis-Eckartikel. Sie sind teilweise immer noch Frequenzbringer, die oft über Preispromotions verkauft werden. Diese Funktionsmarken müssen im Hamsterrad der Preis-Promotion und der Innovation immer schneller laufen, um auf dem gleichen Platz zu bleiben.
Die Konsumhaltung der ethischen Ästheten setzt ein gewisses Einkommen voraus – und die Bereitschaft, sich gute Produkte etwas kosten zu lassen. Könnten steigende Lebensmittelpreise und Inflationsangst den Trend ausbremsen?Die Shopper konnten das im vergangenen Jahr ausbalancieren, indem sie bei ihren Außer-Haus-Ausgaben gespart haben. In diesem Jahr jedoch wird das eine Riesenherausforderung, der Preis steht 2022 ganz klar im Fokus. Aber eins ist trotzdem sicher: "Geiz ist geil" wird auf keinen Fall zurückkommen.
Haben die Unternehmen in puncto Innovationen wieder mehr Gas gegeben?Das Geschehen ist immer noch sehr verhalten. Es läuft zwar wieder an, aber die Hersteller hatten auch im vergangenen Jahr offensichtlich andere Prioritäten, etwa Logistik, Rohstoffversorgung und Warenverfügbarkeit. Nur, das Problem ist, wenn Funktionsmarken bei der Innovationstätigkeit einmal eine Pause machen, brechen die Umsätze ein, wenn nicht gleichzeitig die Werbebudgets erhöht werden.
Was hat Sie bei den Top-Marken dieses Jahres am meisten überrascht?Die Stärke mancher Marken. Nehmen Sie das Beispiel Mutti. Der Hersteller spielt mit seinen Tomaten aus Italien die regionale Karte erfolgreich aus. Daran sieht man, dass Regionalität nicht immer auf Deutschland bezogen sein muss, um damit bei den hiesigen Konsumenten zu punkten. Dass Mutti den Erfolg aus dem letzten Jahr wiederholen konnte, ist eine echte Leistung. Sonst vollzieht sich eine solche Entwicklung häufig eher in Wellen.
Wer ist Ihnen diesmal außerdem aufgefallen?Da muss ich natürlich den Dauersieger Popp nennen, der in diesem Jahr zum achten Mal ausgezeichnet wird. Das Unternehmen bringt immer wieder Varianten und Innovationen und macht eine gute Kommunikation. Aber Popp profitiert sicher auch von der Schwäche der anderen im Segment der Feinkostsalate beziehungsweise vom Ausweichverhalten der Konsumenten, die in dieser Kategorie gerne einkaufen.
Auch der Backwarenhersteller Harry-Brot ist kontinuierlich erfolgreich...... und dieses Jahr wieder mit gleich zwei Siegermarken dabei. Der Hersteller schafft es extrem gut, seinen Stellenwert zu halten und ganz klassisch zu wachsen – das ist eine ausgezeichnete Leistung des Marketings und Category Managements. Ich bin überdies begeistert von Frosta und Iglo, die im Tiefkühlbereich seit Jahren einen guten Job machen und bei uns immer wieder ausgezeichnet werden. Beide haben die Transformation von der Industrie- zur Kulturmarke geschafft, Frosta schon vor Jahren, Iglo hat jetzt nachgezogen.
Die beiden Hersteller profitieren sicher auch davon, dass im vergangenen Jahr nach wie vor mehr zuhause gekocht wurde als vor Corona.Genau. Das Niveau hat sich ungefähr auf dem von 2020 gehalten. Und auch in diesem Jahr wird es höher sein als 2019, denn viele Menschen wollen auch weiterhin im Homeoffice arbeiten. Zudem steigen 2022 die Preise zwar überall, mittelfristig in den Restaurants aber wohl stärker als im Lebensmitteleinzelhandel. Für den Nahrungsmitteleinkauf bedeutet das: Convenience bleibt für die Konsumenten ein wichtiges Thema, vor allem in Verbindung mit Nachhaltigkeit und Gesundheit. Kurzum: Iglo und Frosta bleiben im Trend.
Pflanzliche Alternativen zu Milchprodukten, Fleisch und Wurst spielen für viele Verbraucher eine immer größere Rolle. Wie reagiert die Top-Marke auf die wachsende Marktbedeutung dieser Kategorien?Wir küren in diesem Jahr erstmals die Sieger in vier eigenen Veggie-Warengruppen im Frischesegment: Joghurt- und Milchalternativen sowie Fleisch- und Wurstalternativen. Top-Marken benötigen ja mindestens eine Reichweite von 1 Prozent – und auch diese quantitative Power haben Marken wie Andros, Oatly, Gutfried und The Vegetarian Butcher mittlerweile.
Die Verbraucher kaufen ihren Fleischersatz gerne bei Unternehmen, die aus dem Fleischbereich kommen. Wie erklären Sie sich das?Es ist in der Tat ein Paradox, dass sie sich nicht vorrangig den Produkten der Pure Player der Veggie-Szene zuwenden. Es geht ihnen offensichtlich nicht um ein ideologisch aufgeladenes Entweder-oder, sondern darum, wie ernst es der Hersteller mit der Ernährungswende meint. Zudem wird den Fleischherstellern vielleicht eher zugetraut, den Fleischgeschmack auch bei Ersatzprodukten zu garantieren. Das alles zu beobachten, finde ich sehr spannend. Und für die Fleischhersteller heißt die Devise, natürlich, ich kannibalisiere mich lieber selbst, als dass irgendjemand anderes mich kannibalisiert.
Was erwarten Sie in Sachen Veggie für die Zukunft?Der Veggie-Trend ist so dynamisch, ich kann mir gut vorstellen, dass wir in sieben oder acht Jahren, also bis zum Jahr 2030, sogar über Fleischersatz bei Hundefutter sprechen werden.
Das Gespräch führten Christiane Düthmann und Mayya Chernobylskaya.