Die ersten Tage der Verteilung von Corona-Soforthilfen an kleine und mittlere Unternehmen sowie Solo-Selbstständige sind ein IT-Desaster. In Hessen, Niedersachsen, Berlin und Hamburg kommen Antragsteller über Stunden und oft Tage nicht an die Online-Eingabemasken heran, weil Server und Software der staatlichen Akteure überlastet waren und sind.
In Hessen etwa wurden bedürftige KMUs am ersten Tag der Freischaltung der speziell dafür eingerichteten Web-Seite des Wirtschaftsministeriums mit der Mitteilung begrüßt: "Zur Zeit wird der Service von mehreren hundert Antragstellern gleichzeitig genutzt. Daher möchten wir Sie bitten, den Service zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal aufzurufen." Und das nicht nur einmal, sondern über Stunden. Viele kamen zumindest am Montag überhaupt nicht zum Zuge. Dabei ging das Ministerium nach eigenen Angaben davon aus, dass "etwa 200.000 kleine Unternehmen, Solo-Selbstständige und Freiberufler in Hessen einen Antrag auf Soforthilfe" stellen könnten.
Die schlechte Performance hinderte allerdings den hessischen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) nicht daran, gegenüber der Presse zu erklären: "Der Ansturm auf den Soforthilfe-Antrag ist erwartungsgemäß hoch ausgefallen. Insgesamt aber lief das System stabil." Nach Angaben des Ministers kamen in den ersten sechs Stunden rund 5 000 Anträge durch den IT-Flaschenhals – von vermutlich mehreren Zehntausend, die unter anderem selbstständige Einzelhändler des Nonfood-Sektors einreichen wollten. Bis Dienstag 16.00 Uhr waren es nach Angaben des Ministeriums 29.000 Anträge, die durchkamen.
Auch sonst ist das hessische System ein Musterbeispiel für Digitalisierung nach Behördenart: Die Online-Antragsannahme ist zwischen 24 Uhr und 6 Uhr geschlossen. "Aus technischen Gründen", wie das Ministerium den Unterschied zur 24/7-Welt des restlichen Internets erklärt. Ein vorab von der Landesregierung bekanntgegebener Link zur Online-Beantragung endet bis heute im Nirvana, den neuen Ersatz-Link versteckten die Behörden in der zweituntersten Zeile einer sechsseitigen Quasi-Bedienungsanleitung im PDF-Format. Als Dienstleister hatte Hessen das Regionale Rechenzentrum der Kommunen mit Namen Ekom21 und dessen System Civento ausgewählt – nicht eben bekannt für die Verarbeitung von Massendaten in einem Umfang, der Alltag bei großen Handelsunternehmen ist.
Auch in Hamburg kam es zu Problemen. Für Montag war der Start des Online-Verfahrens bei der Investitions- und Förderbank Hamburg angekündigt – doch ähnlich wie in Hessen funktionierte der Link zunächst nicht. Erst in der Nacht zum Dienstag nahm die Behörden-IT den Dienst auf. Die Zeitung Welt schrieb von einem "Fehlstart".
Noch schlimmer war es in Berlin. Dort fiel die Online-Antrags-Seite der Investitionsbank Berlin mehrere Tage aus. "Fehlstart bei Corona-Hilfen für Berliner" titelte die Zeitung BZ und sprach von einem "Desaster". Laut n-tv hingen in der Warteschleife des Berliner Systems noch Tage nach dem Beginn mehr als 100 000 Antragsteller fest. Außerdem kam es in Berlin durch eine Fehlkonstruktion der Software zu einem gravierenden Datenschutz-Verstoß: Mehreren Dutzend Antragstellern wurden Unterlagen von anderen Antragstellern zugeschickt – inklusive der Kontoverbindung.
Niedersachsen hatte die Antragsannahme bei der Förderbank N-Bank am Mittwoch vergangener Woche begonnen – eigentlich, denn dort waren die Server so überlastet, dass sie sofort zusammenbrachen. Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) sprach laut Bild.de von 222 000 Zugriffs-Versuchen am ersten Tag. Dem standen insgesamt 305 Antragsteller gegenüber, die das Online-Verfahren an den ersten zwei Tagen erfolgreich abschließen konnten. In allen vier genannten Bundesländern sprachen die Behörden davon, dass die Zahl der Anträge ihre "Erwartungen bei weitem" überstiegen hätte – als sei ihnen die Struktur der deutschen Wirtschaft ebenso unbekannt wie skalierbare IT-Systeme.